24.3.2020 - Improvisation

Improvisation

Ich bin Pfarrerin.

Mein Beruf ist sehr vielseitig.
In erster Linie habe ich mit Menschen zu tun.
Mit Menschen, die sich in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen befinden. Der Kontakt zu ihnen ist momentan allerdings sehr eingeschränkt.
Mir bleiben fast nur die Aufgaben, die ich vom Schreibtisch aus erledigen kann - allein.

Auch privat sehe ich viele Menschen zurzeit selten bis gar nicht.
Meine Familie, meine Freunde.
Das halte ich nur aus, weil ich weiß, dass mein Verhalten anderen hilft und dass es gerade allen so geht wie mir.

Im Grunde bin ich Teil einer globalen Solidargemeinschaft, die momentan ganz schön viel aushalten muss. Und ich bin Teil einer weltweiten Christenheit, die gerade sehr darunter leidet, dass sie nicht wie gewohnt in Gemeinschaften leben und wirken kann.

Trotzdem hilft mir mein Glaube.
Jesus hat gesagt: „Auch wenn du dich einsam fühlst, bist du nie allein - Gott ist immer da. Ich bin immer da.“
Das trägt mich.

Ich bin Pfarrerin. Das ist mein Beruf.

Der Weg dorthin war weit und bunt.
Einmal gab es im Predigerseminar das Thema „Improvisation“.
Drei Tage lang hatten meine Kollegen und ich, alles angehende Pfarrerinnen und Pfarrer, Besuch von zwei Schauspielern.
Sie arbeiteten in einem Improvisationsensemble. Eine Schauspielart, die mir bis dahin nur aus der Fernsehserie „Schillerstraße“ bekannt war.

Unsere Gäste leiteten uns dazu an, mit wenigen Impulsen eine spontane Szene darzustellen. Ohne Skript und ohne Drehbuch.
Es waren lustige und spannende Seminartage.
Die Botschaft, die sich in mein Gedächtnis eingebrannt hat: Nimm die Dinge an, die auf dich zukommen und mach was aus ihnen.

Wenn man eine improvisierte Szene spielt, muss man sich ganz auf sein Gegenüber und die Situation einlassen. Etwas Gesagtes ignorieren oder etwas Eigenes dagegenstellen, behindert das Schauspiel, macht es langweilig und irgendwann auch kaputt.
Wenn mein Mitspieler an einer imaginären Kasse sitzt und sagt, er verkaufe Schuhe, macht es keinen Sinn, wenn ich sage, ich hätte gerne ein Eis.

Ich bin Pfarrerin.

Ich habe gelernt, dass sich diese Schauspielkunst auch in meinem Alltag bewährt.
Wie die Menschen und Situationen, denen ich begegne, sich verhalten oder entwickeln, kann ich oft nicht voraussagen.
Ich muss mich spontan auf sie einstellen und sie so annehmen wie sie sind. Das fällt mir nicht immer leicht. Aber ich gebe mir Mühe.

Gerade gibt es für uns alle viele Dinge, die keiner hätte voraussagen können. Und jeder von uns muss improvisieren. Beruflich und privat.

Ich vermisse es am Sonntag Gottesdienst zu feiern und ich vermisse es in ein Gemeindehaus voller Menschen zu kommen.
Ich vermisse es, durch die Stadt zu bummeln, mich mit Freunden im Café zu treffen oder am Wochenende ins Kino zu gehen.
Ich vermisse in dieser Zeit so vieles.
Aber ich muss irgendwie damit umgehen.

Ich schreibe Andachten, die andere im Internet lesen können, ich singe in meiner Wohnung laut „Halleluja“ und stärke mich mit Gottesdiensten, die Online gestreamt werden.
Ich telefoniere mit allen, die mir am Herzen liegen, bringe meine Wohnung so richtig auf Vordermann und lese ein Buch, das ich schon lange einmal lesen wollte.

Ich bin Pfarrerin.

Besonders bitter ist es für mich, dass ich in diesem Jahr keinen normalen Ostergottesdienst feiern darf.
Aber ich kann es nicht ändern. Ich muss damit leben und weitermachen und mir überlegen, wie ich trotzdem Menschen erreichen kann.
„Ich bin die Auferstehung und das Leben“, sagt Jesus Christus und erreicht damit mich.

Ostern kommt. Trotz allem, was gerade anders läuft.

Ich erlebe die Passionszeit in diesem Jahr ganz besonders intensiv. Nie war mir so klar, was Entbehrung wirklich bedeutet.
Umso heller scheint für mich am Horizont aber auch die frohe Hoffnungsbotschaft: Diese Leidenszeit wird irgendwann ein Ende haben und das Leben wird siegen. Es siegt immer – früher oder später. Das bedeutet Ostern. Das bedeutet Auferstehung. Jesus hat es mir vorgemacht. Aufstehen. Weitermachen. Neu anfangen. Immer wieder improvisieren. Leben gerade dort gestalten, wo es in Frage gestellt wird.

Und vor allem: Die Hoffnung niemals aufgeben.

(Leska Meyer)